Schreckensregiment der Tschechen

Schreckensregiment der Tschechen

Am 11. Mai 1945 in den Morgenstunden fuhren russische Panzer in Saaz ein. Die Ungewißheit, was die nahe Zukunft bringen werde, lastete schwer auf den Bewohnern. Frauen wurden vergewaltigt, einige Personen wurden erschossen und mancher ist damals verschwunden, von dem man nie wieder gehört hat. Viele verloren die Nerven und griffen zum Strick oder öffneten sich die Pulsadern.
Ende Mai wurde bekannt, daß ein Edikt Beneschs das gesamte deutsche Vermögen unter „nationale Verwaltung“ stelle. Viele glaubten, daß die angelsächsischen Völker einschreiten würden und daß es mit der Zeit zu einem erträglichen Zusammenleben mit den Tschechen kommen werde. Am 2. Juni zogen die Russen ab und Truppen des tschechischen Generals Svoboda besetzten die Stadt. Am Sonntag, den 3. Juni brach das Verhängnis über Saaz herein. Es war dies der Tag der Austreibung der deutschen Männer aus Saaz. Tschechische Gendarmen und Soldaten drangen in alle Häuser und trieben Männer und Knaben auf den Marktplatz. Die Gassen hallten wider von Schreien und Schüssen, Soldaten zu Pferd und zu Rad hetzten Menschen in das Stadtinnere und mancher lief damals um sein Leben. Da standen die Männer von Saaz, Alte und Kranke, von Wehrmacht, Reichsarbeitsdienst, Organisation Todt zehnmal gesiebt und Knaben, kaum dem Kindesalter entwachsen. Es mochten an die 5000 sein. Viele wurden hier von Soldaten mit Peitschen und Knütteln geschlagen. Wer durch ungewöhnliche Körpergestalt auffiel, oder infolge Ungeschicklichkeit oder Schwäche die gewünschte Ordnung nicht einhielt, oder gar durch Trachtenanzug die Tschechen reizte, wurde schwer mißhandelt. Ein Nachzügler wurde erschossen. So unmenschlich war die Behandlung, daß drei Deutsche, die von ihren Wohnungen aus dem Schauspiel zusahen, sich das Leben nahmen, um nicht Gleiches erdulden zu müssen. Im Laufe des Vormittags wurden dann Männer und Knaben in drei Kolonnen nach Postelberg getrieben, einem 15 km von Saaz entfernten Städtchen. Auch unterwegs gab es Schläge. Postelberg schien ausgestorben. Später klärte sich die Verlassenheit des Ortes auf. Die Bevölkerung war schon ausgetrieben, ehe die Saazer Männer dort ankamen. In Postelberg steht eine 100 Jahre alte, in Gestalt eines Rechteckes erbaute Kavalleriekaserne. In den Hof der Kaserne wurden nun die Saazer Männer und Knaben geführt, mußten sich niedersetzen und durften ihren Platz nicht mehr verlassen.
Indessen spielte sich im Saazer Gerichtsgefängnis - den Blicken der Öffentlichkeit entzogen - eine andere tragische Szene ab. Seit einigen Tagen war dort tschechisches Personal im Dienst. Die Gefangenen wurden gequält, des Nachts drangen Tschechen in die Zellen ein und stillten ihre Rachegelüste an den Wehrlosen. Es gab Todesopfer, Selbstmorde sagten die Tschechen. Nun wurden die 150 Gefangenen gesichtet und eingeteilt in Morituri und leichte Fälle. Die Behandlung, die die Todgeweihten erfuhren, machte ihnen später das Sterben leicht. Sie standen im Gefängnishofe in glühender Sonne ohne Kopfbedeckung, die Hände erhoben, bis sie ihnen zitternd herabsanken. Tschechische Polizisten und Soldaten gingen die Reihen entlang und suchten sich ihre Opfer aus. Dann ein Stoß mit meterlangen Knüppeln in die Magengegend, der Getroffene knickte nach vorn zusammen und bekam einige Schläge über den Schädel. Viele der Mißhandelten erbrachen Blut und konnten sich nur mit Mühe aufrecht halten. Am Abend betraten Soldaten den Gefängnishof, Peitschen in den Händen, Handgranaten im Gürtel. Sie lachten die Gefangenen höhnisch an. Der Polizeikapitän Marek gab den Befehl zum Abmarsch. Ein Gefangener trat vor und meldete, daß er schwer herzkrank sei. Ein Faustschlag beförderte ihn in die Einteilung zurück und schon ging es in Achterreihen zum Tore hinaus. Der Marktplatz war menschenleer. Am Rathaus vorbei zum Priestertor ging der Zug, da hoben die Soldaten die Peitschen und schlugen auf die Gefangenen ein, bis der Zug die Stadtgrenze erreichte. Um Mitternacht erreichten auch diese Männer Postelberg. In Saaz aber warteten tausende Frauen mit Bangen vergebens auf die Rückkehr ihrer Männer und Kinder.
Der 4. Juni war der Tag der Beraubung. Frierend haben die Gefangenen die Nacht auf dem schmutzigen Kasernenhofe liegend verbracht. Sie durften diese Stätte nicht verlassen. Die Tschechen hatten jeden mit Erschießen bedroht, der auch nur austreten wollte. Da erscholl das Kommando: „Vsechno na své misto!“ (Jeder auf seinen Platz). Ein Teil der Gefangenen stand auf, ein Teil blieb sitzen und schon krachten Schüsse. Es gab Tote und Verwundete. Die Verwundeten wurden am Graben niedergelegt, einer hob die Hand: „Lebt wohl, Kameraden, es wird nicht mehr lange dauern.“ Gefangene mußten Tote und Verwundete in den Splittergraben werfen, dann einige Schüsse mit Maschinenpistolen und alle haben es überstanden. Der Splittergraben diente Tausenden als Latrine, die Latrine aber wurde das Grab vieler Saazer.
Neue Kommandos erschallten. Alle haben ihr Geld und ihren Schmuck abzuliefern. „Wer etwas verheimlicht, wird mit dem Tode bestraft.“ Niemand zweifelt an der Ernsthaftigkeit der Drohung. Nun werden Uhren, Geld, Ringe u. a. abgeliefert. Das geraubte Geld füllt große Kisten. Dann hebt eine gründliche Untersuchung der Gefangenen an, alle werden abgetastet, die Schuhe müssen ausgezogen werden, Sachen, die für die Tschechen wertlos sind, wie Briefe, Dokumente, Medikamente werden vernichtet. Unterdessen gehen tschechische Soldaten durch die Reihen, das Schimpfen und Schlagen nimmt kein Ende.
Am Abend dieses Tages verließen Ärzte, Apotheker, Geistliche, Angehörige wichtiger Berufe, unentbehrliche Handwerker, Halbjuden, Männer jüdischer oder halbjüdischer Frauen den Kasernenhof, ebenso ehemalige Insassen deutscher Konzentrationslager, aber nicht allen winkte die Freiheit. Am Heimwege wurde der Kapuziner-Guardian, der schlecht zu Fuß war, kurzerhand erschossen, die meisten kamen in Saaz ins Lager. Die Nacht vom 4. auf den 5. Juni verbrachten die Gefangenen von Postelberg in den Ställen. Von Schlaf war keine Rede. Die Enge war zu bedrückend und während der ganzen Nacht knallten am Hofe, in der Stadt und auswärts Schüsse.
Am 5. Juni begann das Morden. Die Stalltüren wurden geöffnet und dann ertönte das Kommando „rychle, rychle!“ (schnell, schnell). Schon knallten Schüsse. Wer zu langsam lief, wurde niedergeschossen. Hilfeleistungen wurden verwehrt, Verwundungen bedeuteten schon den Tod, es verbluteten viele im Laufe des Tages, die bei rechtzeitiger Hilfe hätten gerettet werden können. Tote und Verwundete wurden in die Latrine geworfen, dann knallten schon die üblichen MP-Schüsse, Gnadenschüsse, wie sie Kapitän Marek nannte.
Dann begann Marek mit der Sichtung der Gefangenen. Es mußten sich die Angehörigen der SS, SA, NSKK, der Wehrmacht, die politischen Leiter, die Parteigenossen und früheren Angehörigen der SdP melden. Das Durcheinander und die Mißverständnisse waren groß. Sollte sich zur Abteilung Wehrmacht melden, wer bei der Partei war? Es ist nicht leicht zu schildern, was sich an diesem und dem folgenden Tage im Kasernenhof abspielte. Es wäre die Einvernahme Hunderter notwendig gewesen, um ein verläßliches Bild zu erhalten. Hier wurde geschlagen, dort geschossen, da schleifte man eine Leiche weg, hier wurden Arbeiter ausgesucht und fortgetrieben, die kamen hinter Stacheldraht, jene sperrte man in Ställe, der ganze Hof hallte wider von Kommandos, Schreien, Schimpfworten, Schlägen und Schüssen. Als die Sonne sank und die Gefangenen, die auch heute wie an den vorangegangenen Tagen keinen Bissen zu essen erhalten hatten, in die Ställe getrieben wurden oder sich auch auf dem Kasernenhof niederstrecken mußten, hatte wohl jeder mit dem Leben abgeschlossen und war bereit, mannhaft zu sterben. Die Opfer des Tages sind nicht gezählt worden. In der Nacht knallten wieder unablässig nah und fern die Maschinenpistolen.
Der 6. Juni war der Tag des Kindermordes.
Zunächst wieder endloses Einteilen und Aufstellen von Arbeitsgruppen. Auch sie hatten drei Tage lang kein Essen erhalten. Fünf schlossen sich unauffällig einer Arbeitergruppe an, um auf die Weise der Gefangenschaft zu entrinnen. Aber schon in Postelberg wurden sie aufgegriffen und dann dem Kapitän Marek vorgeführt. Zitternd vor Erregung verfolgten Männer und Knaben die entsetzliche Szene, die ihnen vorgeführt wurde und auf die sie durch den Ruf: „Eine Äußerung des Mißfallens und es wird geschossen!“ vorbereitet wurden. Die fünf Knaben wurden zur Reitschule geführt, der Hosen entkleidet und die Züchtigung begann. Ein widerlicher Anblick, wie sich die Tschechen hindrängten, um nur einige Schläge anbringen zu können. Die erbarmungslosen Schläge mit Stöcken und Peitschen entrissen den Knaben ein herzerweichendes Wimmern. Blut rann an ihren Schenkeln herunter, dann verliefen sich die tschechischen „Soldaten“. Die Knaben blieben mit dem Gesicht zur Wand stehen, neben ihnen nahm ein Posten Platz.
Allmählich beruhigten sich die Nerven der aufgeregten Zuschauer. Jeder glaubte, daß mit dieser Züchtigung die Bestrafung der Knaben zu Ende sei. Nach einer halben Stunde nahmen einige Tschechen, die Gewehre im Arm, bei den Knaben Aufstellung. Ein Posten rief: „Wer einen Fluchtversuch unternimmt, wird erschossen, so wie jetzt diese Knaben erschossen werden sollen.“ Er konnte es also selbst nicht glauben, daß es mit dem Erschießen Ernst ist. Die Knaben wandten ängstlich die Köpfe, dann drehten sie sich um. Zwei der Tschechen legten auf kurze Distanz auf den ersten Knaben in der Reihe an, schon krachen ihre Schüsse und der Knabe sinkt zu Boden. Sein Blut rötet die Wand. Da rufen die anderen Knaben: „Herr Kapitän, wir werden es nicht mehr tun“. Der zweite Knabe in der Reihe läuft den Henkern entgegen, will ihnen die Gewehrläufe in die Höhe schlagen. Die Mörder hatten schon repetiert und der zweite Knabe stürzt im Feuer zu Boden. Mörtel stäubt auf, wieder rötet Blut die Wand. Die anderen Knaben fügen sich heldenhaft ihrem Schicksal. Der Dritte ruft nach seiner Mutter, ehe er zusammenbricht. Der Vierte bleibt nach der Salve stehen, schaut stumm in die neuerlich erhobenen Läufe und sinkt erst nach den zweiten Schüssen zu Boden. Auch der Fünfte wird niedergeschossen. Die Knaben waren vielleicht 15 Jahre alt. Die Erwachsenen schauten dem Morden wehrlos zu. Widerstand hätte zu einem wahren Gemetzel geführt, beim Tore waren Maschinengewehre aufgestellt. Die seelischen Qualen sollten heute kein Ende nehmen. In den Ställen an der hinteren Schmalseite des Hofes waren die Todgeweihten untergebracht. Jede Stunde, pünktlich nach dem Glockenschlag, begab sich eine Gruppe Tschechen mit Stöcken und Peitschen bewaffnet in die Ställe, dann hörte man wohl 10 Minuten lang das Stöhnen, Schlagen und Wimmern der Getroffenen. Dies dauerte bis zum Abend fort. Die Erschießungen zerrten nicht so an den Nerven wie dieses Foltern.
Und nun ein neues Schauspiel. An die zwanzig Gefangene wurden zum hinteren Tore hinausgeführt. Sie trugen Spaten und Hacken. Ihnen folgte eine Abteilung Gendarmen und Soldaten mit M.P. bewaffnet. Also Hinrichtung. Alle warteten vergeblich auf die Salven. Nach einer Stunde kamen Gefangene und Soldaten zurück.
Um die Mittagszeit dieses vierten Tages wurde zum ersten Mal etwas Nahrung ausgegeben. 10 Gefangene erhielten ein Brot. Am Nachmittag steigerte sich die Tollheit der Tschechen. Wieder kann der Einzelne nicht fassen, was sich alles auf dem weiten Hofe abspielt. Hier wird einer geohrfeigt, dort einer mit den Füßen getreten, hier hetzt man einen Hund auf Gefangene, da werden einige mit Gummiknüppeln auf das nackte Gesäß geschlagen und daneben müssen sich Gefangene gegenseitig mit Stöcken schlagen und Posten geben acht, daß die Schläge nicht zu mild ausfallen. Wieder knallen Schüsse, fallen Schimpfworts wie sie die deutsche Sprache gar nicht kennt. Hin und wieder gehen Frauen über den Kasernenhof und weiden sich an dem Schauspiel.
Am Abend werden hunderte von Gefangenen von ihren körperlichen und seelischen Qualen erlöst - wenigstens auf kurze Zeit. Es fahren Autobusse vor und holen Menschenmaterial für das Brüxer Hydrierwerk.

Bei Einbruch der Dämmerung wurden in einem kleinen und niedrigen Stall so viele Leute hineingepfercht, als darin gerade noch stehen können. Dann wurden die Türen geschlossen, ein Posten nahm vor dem Stalle Platz. Die Eingesperrten - es sind ihrer 275, wie eine spätere Zählung ergab - sahen sich in einem Raum, dessen Decke sie fast mit den Händen erreichen können und dessen einziges Fenster über der Tür geschlossen ist. Sie können sich kaum rühren, viel weniger liegen. Sauerstoffmangel macht sich bemerkbar, der Schweiß fließt in Strömen, Herzkranke werden ohnmächtig. Da hebt ein Schreien an, steigert sich zum Toben, der Posten droht mit Handgranaten und da gelingt es doch einigen Besonnenen, die Halbwahnsinnigen zur Ruhe zu bringen, um mit dem Posten verhandeln zu können. Sie bitten, die Tür zu öffnen. Ablehnung. Endlich läßt sich der Posten erweichen und geht fragen, ob die Tür geöffnet werden dürfe. Die Bitte wird abgeschlagen. Wieder Schreien und Toben und wieder Drohungen der Soldaten. Bald zeigen sich bei manchen der Gequälten Erscheinungen von Geistesgestörtheit. Da vermeint einer, zu Hause zu sein, sucht seine Schlüssel und lädt die Umstehenden in seine Wohnung ein. Ein anderer wieder beginnt zu telefonieren, spricht mit Amerikanern und teilt ruhig mit, amerikanische Panzer seien schon in der Nähe, die Stunde der Befreiung werde bald schlagen. Um Mitternacht öffnet der Posten für kurze Zeit die Tür. Die frische Nachtluft strömt herein und erquickt die Gemarterten. Bald wird die Tür wieder geschlossen und die Qualen beginnen aufs Neue. Wieder Toben, Drohungen, wieder sinken Leute zu Boden oder verfallen dem Irrsinn.
Um 7 Uhr früh schlug die Stunde der Erlösung für die Männer dieses Marterraumes. Die Opfer der Nacht sind nicht gezählt worden, die Sinne der Herausströmenden werden sogleich von neuen Schauspielen gefesselt. Der erste, der aus dem Stall herausstürzt, wirft sich auf den Posten und sucht ihm die Maschinenpistole zu entreißen. Ein Schuß und es ist zu Ende mit ihm. Viele werfen sich zu Boden, die Augen quellen aus den Höhlen, die Gesichter sind verzerrt, sie stoßen Schimpfworte aus, manche wollen reden und können es nicht. Da kommt einer daher, ganz nackt. Wie ist es ihm gelungen, in der qualvollen Enge sich auszuziehen? Er trippelt auf den Zehenspitzen wie eine Tänzerin und wiegt sich in den Hüften. Ein Hauptmann geht zu Kapitän Marek und bittet ihn, wie ein deutscher Offizier sterben zu dürfen. Marek zieht die Pistole: „Einen Gnadenschuß wollen Sie?“, führt ihn zum Graben, heißt ihn niederknien, dann ein Schuß in den Nacken. Der Hauptmann wendet sich um: „So schießen Sie doch besser!“ Ein zweiter Schuß wirft ihn zu Boden und erst der dritte bringt ihm Erlösung. Das war die Einleitung zum fünften Tage Postelberg, den 7. Juni 1945, dem Tage der Massenmorde. Jetzt wird aufgeräumt. Starke Trupps, bis zu 80 Mann, werden zusammengestellt und hinausgeführt. Die Männer wissen, was ihnen bevorsteht. Sie schreiten aufrecht, mit steinernen Mienen an den Zurückbleibenden vorbei. Nicht einer bittet um sein Leben. Zum Lewanitzer Fasanengarten führt der Weg.

Aus: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen. Überlebende kommen zu Wort.
Originalausgabe: Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung Sudetendeutscher Interessen, 1951
Einleitung und Bearbeitung von Dr. Wilhelm Turnwald

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